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Volksmusik
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1995-02-03
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9KB
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186 lines
Im Schwerpunktartikel geht es diese Mal um die Volksmusikscene, genauer
gesagt um den illegalen Ableger dieser Musikrichtung. Wer kennt sie nicht,
die beliebten Sendungen Musikantenstadl, Die lusigen Musikanten und Die
Hitparade der Volksmusik. Die wenigsten wissen aber, daß diese Shows
meistens nur zur Ablenkung vom wahren Geschehen hergestellt werden. In
Wahrheit tauschen die Besucher bei diesen Treffs nämlich nur neueste,
illegale Volksmusik aus. Im Augenblick sehr gefragt auf dem Schwarzmarkt
ist die neue Scheibe der Hardcorevolksmusiker "Die Halmbacher
Rohrspatzen", die den harmungslos erscheinenden Namen "Kikeriki, sagt der
Hahn" trägt. Da die Platte nur in limitierter Auflage erschienen ist (200
Exemplare), schnellen die Preise für diesen Mix-Sampler in die Höhe. Wir
sprachen mit dem Schwarzhändler und Death-Volksmusiker M.K. (Name von der
Red. geändert):
Fehlstart: Wieviel muß man heutzutage für "Kikeriki, sagt der Hahn" auf den
Tisch legen ?"
M.K.: Unter 10000 DM läuft da gar nichts mehr. Sie müssen verstehen,
der Versand aus den USA, die Gefahrenzulage, Steuern und
Transportsicherung verschlingen eine Menge Geld."
Fehlstart: Warum muß die Musik denn aus den USA verschickt werden ?
M.K.: Na, Deutschland ist einfach ein zu heißes Pflaster geworden.
Überall sitzt uns die Polizei im Nacken. Spitzel und Wanzen
soweit das Auge reicht. Man kann keinen unbeobachteten Schritt
mehr tun. Ich selbst wurde auch schon mehrmals festgenommen,
wurde aber immer wieder aus Mangel an Beweisen freigelassen.
Seit 8 Jahren lebe ich nun im Untergrund und habe kaum noch
Kontakt zur Außenwelt.
Fehlstart: Ist das nicht ein bißchen umständlich, die Musik hier zu
produzieren und aus den USA zu verschicken ?
M.K.: Nein, ganz im Gegenteil. Wir sparen sogar enorme Kosten mit
dieser Methode. Außerdem wird jedes mit der Post verschickte
Paket seit neuestem mit einer Radaranlage durchleuchtet, so daß
wir gar keine Chance mehr hätten, würden wir mit der Post ver-
senden.
Fehlstart: Was darf der Laie unter "Gefahrenzulage" und "Transport-
sicherung" verstehen ?
M.K.: Es ist nicht gerade ungefährlich, dermaßen heiße Schmuggelware
aus den USA herauszubringen. Einerseits will uns der Staat an
den Kragen, andererseits will die Mafia kräftig mitkassieren. Da
genügt es nicht mehr, nur Pistolen zu tragen. Da muß man im
wahrsten Sinne des Wortes schwereres Geschütz auffahren. Ein
paar Panzer, Kampfhubschrauber und Artillerie gehören heute
einfach zur Tagesordnung. Zum Schmuggeln benutzt man am besten
ein Atom-U-Boot.
Fehlstart: Da scheint es ja ganz schön heiß herzugehen...
M.K.: Das kann man wohl sagen. Unserer Clan hat schon mehrere tausend
Mann im Kampf gegen Staat und Mafia verloren.
Fehlstart: Warum hat der hiesige Staat eigentlich etwas gegen Volksmusik ?
M.K.: Keine Ahnung. Vieleicht hat er sie wegen ihrer Rauschwirkung
verboten.
Fehlstart: Rauschwirkung ?
M.K.: Ja, Rauschwirkung. Volksmusik macht extrem high. Das Gefühl des
High-Seins kann dabei bis zu zwei Jahren anhalten, vorausgesetzt
man konsumiert das härteste Stück Volksmusik: die Scheibe "
Bayrische Oliven" von den weltweit verbotenen Trash-Volks-
musikern "Sindelfinger Hinterbänkler".
Fehlstart: Wie sind sie eigentlich zur Voksmusik gekommen ?
M.K.: Schon als kleiner Junge wurde ich von meinen Eltern immer mit zu
den großen Treffs genommen (Anm. der Red.: Musikantenstadl,
etc.). Ich wurde von Anfang an im Sinne der Volksmusik erzogen.
Jeden Morgen mußte ich die aktuellen Charts auswendig aufsagen.
Dazu kam eine 24-Stunden-Dauerberieselung mit Hardcore und
Trash. Egal ob auf dem Klo oder im Bett, überall war Volksmusik
der schlimmsten Sorte zu hören. Mit 6 Jahren war ich dann dank
meiner Eltern größter Händler in Südeuropa und stieg schnell zum
Clanchef des einflußreichen Martens-Clans auf. Unsere Gruppe
macht einen Jahresumsatz von 175 Millionen Dollar und zählt
damit zu den einflußreichsten Clans weltweit.
Fehlstart: Was sagen sie dazu, daß die UNO in Resolution 572 eine weltweite
Ächtung von bayrischer Volksmusik vorsieht ?
M.K.: Darauf waren wir vorbereitet. Nachdem uns alle Regierungen der
Welt außer Bolivien und Peru den Krieg erklärt haben, kann uns
nichts mehr so leicht aus der Ruhe bringen.
Fehlstart: Noch irgendeine Message für unsere Leser ?
M.K.: Ja.
Fehlstart: Geht das nicht ein bißchen genauer ?
M.K.: Ja.
Fehlstart: Also ?
M.K.: Hallo, Leser !
Fehlstart: Tolle Message, trotzdem danken wir Ihnen für diesen informativen
Einblick in die Gefilde der illegalen Volksmusik. Tschüß !
M.K.: Tschüß !
Nachdem M.K. die Redaktionsräume verlassen hatte, hörten wir einige Schüsse
und sahen den frisch erschossenen Volksmusikanten tot auf der Straße
liegen. Seine Mörder hatten mit Blut "Verräter" auf seinen leblosen Körper
gemalt. Diese Einschüchterungsversuche zeigten bei uns jedoch keine
Wirkung. Wir recherchieren weiter in dieser anscheinend hochbrisanten
Geschichte.
Wir in der Redaktion wollten die Wirkung der Droge "Volksmusik" am eigenen
Leib spüren und beschlossen daher, uns Eintrittskarten für den Szene-Treff
schlechthin, das Musikantenstadl, zu beschaffen. Nachdem wir uns die
(ultra-teuren) Eintrittskarten besorgt hatten, mußten wir noch einige
Vorkehrungen treffen, um bei der Sendung nicht erkannt zu werden
(Perücken, neue Hautfarbe, neue Stimme). Nach monatelanger
Vorbereitungszeit war es endlich soweit: wenn nichts dazwischen kam, fand
das langersehnte Musikantenstadl statt ! Am Eingang wurden wir von den
gelben Sheriffs mit Namen begrüßt. Unsere Verkleidung war also völlig
überflüssig (dabei hat sie soviel Geld gekostet...). Na ja, macht nichts !
Als wir die Halle betraten, bot sich uns ein schreckliches Bild: überall
saßen kleine volkstümlich verkleidete Kinder, die von Geburt an (wie M.K.)
auf Volksmusik getrimmt werden. Man sagte uns, daß dies der Nachwuchs sei,
der in 2 Jahren frontreif sei. In den Kinderaugen konnte man den
unerschütterliche Glauben an die Volksmusik erkennen. Mir war sofort klar:
Diese Kinder sind bereit, für die Volksmusik ihr Leben zu lassen. Ich
hatte jedoch keine Zeit mehr, meine Zeit mit solchen Unwichtigkeiten zu
verschwenden, denn da schon fing die Feier (Szene-Jargon für
Tausch-Party) an: als erste Stimmungsmacher betraten die "Doppelten
Steinböcke" die Bühne und legten gleich kräftig los. Schon nach dem ersten
Stück klatschten einige Redakteure hemmungslos mit, und auch ich bekam
allmählich die Wirkung zu spüren: ich führte unkontrollierte Bewegungen
aus, begann zu lallen und schlug wild um mich. Um 22.00 Uhr wurde die Musik-
Orgie von starken Polizeikräften unter Einsatz von Gummigeschoßen gewaltsam
beendet. Es gab auf beiden Seiten hohe Verluste. Auch die Redaktion verlor
12 gute Redakteure. Schade ! Ich wurde in eine Klinik eingewiesen und
konnte sie erst nach mehrmonatiger psychatrischer Behandlung verlassen.
Meinen journalistischen Idealismus hatte ich in dieser Zeit aber nicht ver-
loren. Sofort nach der Entlassung nahm ich wieder die Recherchen auf und
entdeckte einen ehemaligen Abhängigen, der mir gegen eine neue Identität
und Geld ein Geständnis anbot. Nachdem meine gesamte Familie (entführt
und bestialisch ermordet) umgekommen war, kannte ich keine Skrupel mehr und
nahm das Angebot trotz mehrfacher Warnungen aus dem Untergrund an (O-Ton:
"Wenn du das tust, wirst du morgen nur noch Geschichte sein !"). Hier also
das Gespräch.
Q.Z.: So, ich packe aus !
Ich hatte mich schon gewundert, warum er eine große Kiste mit in die
Redaktionsräume geschleppt hatte, als er plötzlich begann, sie zu öffnen
und Bücher auszupacken
Fehlstart: Was soll das denn ?
Q.Z.: Ich packe nur aus !
Fehlstart: Ja aber, ich dachte, sie meinten das mehr im übertragenen Sinne,
also nee, ehrlich...
Q.Z.: Nein, keineswegs. Ich ziehe hier ein.
Fehlstart: Das geht doch nicht...
Q.Z.: Und ob das geht. Bitte gehen sie jetzt und helfen sie, das
Klavier reinzutragen.
Fehlstart: OK !
Nachdem ich aus meiner Redaktion rausgeworfen, mein Haus von militanten
Volksmusikern angezündet wurde und ich auch noch meinen Job los war, blieb
mir nichts anderes übrig, als Tankwart zu werden. Ihr seht, gegen ein so
mächtiges Kartell wie die Volksmusik haben nicht einmal renommierte
Journalisten eine Chance. Also, laßt lieber die Finger von diesem heißen
Eisen.
BJ